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Das Verhältnis zwischen dem Geschäftsführungsverbot wegen Verletzung der Informations- und Mitwirkungspflicht und dem Nemo Tenetur-Grundsatz

Enschede, 03.11.2021

Im Jahr 2016 wurde die Insolvenzordnung um die Paragraphen 106a bis 106e ergänzt. Diese Paragraphen ermöglichen es der Staatsanwaltschaft oder einem Insolvenzverwalter, bei Gericht einen Antrag auf Verhängung eines zivilrechtlichen Verwaltungsverbots gegen einen Geschäftsführer einer juristischen Person zu stellen.

Ein Verbot der Tätigkeit als Geschäftsführer gilt für einen Zeitraum von fünf Jahren. Innerhalb dieser fünf Jahre darf dieser Geschäftsführer nicht zum Geschäftsführer oder Aufsichtsratsmitglied einer anderen juristischen Person ernannt werden.  Jede Ernennung, die gegen das Verbot der Geschäftsführung verstößt, ist null und nichtig. Der Zweck eines Verbots von Geschäftsführern ist die Bekämpfung von Insolvenzbetrug, Unregelmäßigkeiten in und um die Insolvenz herum, wie z. B. schwerwiegende Behinderung des Insolvenzverwalters, Rückfälligkeit in die Insolvenz und Schädigung von Gläubigern vor dem Insolvenzverfahren. In diesem Blog werde ich mich auf die Frage konzentrieren, wie sich der Nemo Tenetur-Grundsatz auf den C-Grund des Paragraphen 106a Insolvenzordnung bezieht. Der Nemo-Tenetur-Grundsatz ergibt sich aus Paragraph 6 der EMRK und besagt, dass ein Bürger nicht verpflichtet ist, bei seiner eigenen Verurteilung oder einem anderen Verfahren, das zu einer strafrechtlichen Sanktion führen kann, mitzuwirken.

Ein Geschäftsführungsverbot kann ausgesprochen werden, wenn einer der folgenden Gründe erfüllt ist:

a. wenn das Gericht rechtskräftig entschieden hat, dass der Geschäftsführer für seine Handlungen oder Unterlassungen innerhalb dieser juristischen Person im Sinne von Paragraph 2:138 oder 2:248 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches haftet;

b. wenn der Geschäftsführer im Namen der juristischen Person vorsätzlich Rechtshandlungen vorgenommen, zugelassen oder ermöglicht hat, die die Gläubiger erheblich geschädigt haben und die vom Gericht in einer unwiderruflichen Entscheidung gemäß Paragraphen 42 oder 47 Insolvenzordnung für nichtig erklärt worden sind;

c. wenn der Geschäftsführung trotz Aufforderung durch den Insolvenzverwalter seinen Informations- oder Mitwirkungspflichten gegenüber dem Insolvenzverwalter im Sinne dieses Gesetzes nicht nachgekommen ist;

d. wenn der Geschäftsführer entweder in eigenem Namen oder als natürliche Person, die in Ausübung eines Berufes oder Unternehmens handelt, mindestens zweimal zuvor in die Insolvenz einer juristischen Person verwickelt war und ein persönliches Verschulden trifft; oder

e. wenn gegen die juristische Person oder ihren Geschäftsführer eine Geldstrafe wegen einer Straftat im Sinne der Paragraphen 67d, 67e oder 67f des Allgemeinen Gesetzes über staatliche Steuern verhängt wurde und diese Entscheidung unwiderruflich ist.

Eine strafende Sanktion bedeutet in dieser Situation:

-       Die Verhängung des Verbots selbst;

-       Eine mögliche spätere Verurteilung wegen Verstoßes gegen Paragraph 194 des Strafgesetzbuchs.

Verhängung eines Geschäftsführungsverbots

Nach Paragraph 105 Insolvenzordnung ist der Insolvenzschuldner verpflichtet, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Nach Paragraph 106 Insolvenzordnung obliegt diese Verpflichtung den Geschäftsführern und Aufsichtsräten des Unternehmens. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, hat der Insolvenzverwalter die Möglichkeit, eine Inhaftnahme durchzuführen, um den Insolvenzschuldner zur Auskunftserteilung zu bewegen (Paragraph 87 ff Insolvenzordnung). Ein Insolvenzverwalter kann daher Informationen unter Zwang einholen. Das Gericht entschied jedoch, dass keine Rede ist von irgendeinem Zwang zur Zusammenarbeit des Geschäftsführers mit dem Insolvenzverwalter in so einen Fall. Die Untersagung der Geschäftsführung auf der Grundlage des C-Grundes, der Nichtinformation, ist genau das, was zu der Sanktion führt. Die Verhängung eines verwaltungsrechtlichen Verbots auf der Grundlage des C-Grundes ist daher kein Verfahren, das als Verfahren zur Verhängung einer Strafsanktion angesehen werden kann. Der C-Grund dient ebenfalls der Vorbeugung, nämlich der Verhinderung eines ernsthaften Widerstands gegen den Insolvenzverwalter. Die Regierung ist der Meinung, dass es keinen Konflikt mit Paragraph 6 EMRK gibt und verweist auf die Rechtsprechung des EGMR. Der EGMR entschied, dass Paragraph 6 EMRK nicht auf das zivilrechtliche Geschäftsführungsverbot anwendbar ist, da dieses nicht als strafrechtliche Anklage angesehen werden kann. Der Hoge Raad (niederländisches Oberste Gerichtshof) entschied 2014 auch, dass die Ausübung von Zwang zur Erlangung der für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens erforderlichen Informationen nicht gegen Paragraph 6 EMRK verstößt.

Eine mögliche spätere Verurteilung wegen Verstoßes gegen Paragraph 194 des Strafgesetzbuchs

Im Strafrecht liegen die Dinge jedoch anders. Der Hoge Raad betonte 2014, dass es keine Garantien für die Nichtmitwirkung an der eigenen Verurteilung gibt, wenn diese Informationen später im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Sanktion verwendet werden. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass diese Informationen zu diesem Zweck verwendet werden. Stellt der Insolvenzverwalter nach Einholung der Informationen fest, dass der Insolvenzschuldner möglicherweise eine Straftat, z. B. einen Insolvenzbetrug, begangen hat, so kann er dies anzeigen. Allerdings dürfen die nach Paragraph 105 Insolvenzordnung erlangten Informationen dann nicht mehr in diesem Verfahren verwendet werden.

Schlussfolgerung

Das zivilrechtliche Verwaltungsverbot kann gegen einen Geschäftsführer verhängt werden, wenn er seine Pflichten nach Paragraph 105 Insolvenzordnung schwerwiegend verletzt. Obwohl der Insolvenzverwalter Zwang ausüben kann, um einen Insolvenzschuldner zur Auskunftserteilung zu veranlassen, verstößt die Verhängung eines Verwaltungsverbots nach Paragraph 106a Insolvenzordnung nach ständiger Rechtsprechung nicht gegen Paragraph 6 EMRK und den daraus folgenden Nemo Tenetur-Grundsatz. Kommt es anschließend zu einem Strafverfahren, dürfen die unter Zwang erlangten Informationen in diesem Verfahren nicht mehr verwendet werden.

Autoren: Elles Maatman (Praktikant), Advocaat Irith Hoffmann, Damsté advocaten – notarissen, Niederlande