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Vertragliche Zuständigkeitsstreitigkeiten nach dem Brexit: Wer ist verantwortlich und welches Recht wird angewandt?

Northampton, 04.09.2019

Derzeit gibt es zahlreiche EU-Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit gesetzlichen Bestimmungen zwischen Vertragsparteien und dem Gericht, die über alle aus einem Vertrag resultierenden Streitigkeiten entscheiden. Da das Austrittsdatum Großbritanniens aus der EU jedoch immer näher rückt, sind für diese Vorschriften Änderungen vorgesehen, die von Unternehmen, die Handelsverträge abschließen, berücksichtigt werden müssen.

 

Bitte beachten Sie, dass sich dieser Artikel nicht mit der Vollstreckung von Urteilen befasst, die von einem britischen Gericht oder einem Gericht in einem Mitgliedsstaat erlassen wurden, obwohl auch dieser Bereich unter die demnächst geänderten Rechtsvorschriften fällt.

Die aktuelle Situation

Vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU wird das Land weiterhin an den wichtigsten europäischen Rechtsvorschriften beteiligt sein, was heißt, dass die derzeitige Praxis bis zu diesem Zeitpunkt fortgeführt wird. Bei Verfahren, die vor dem Austrittsdatum eingeleitet werden, gelten andere Rechtsvorschriften für das anzuwendende Recht und die Gerichtsbarkeit als dies danach der Fall sein wird.

Momentan wird das Recht, das bei einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Parteien Anwendung findet, durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I) geregelt. Diese besagt, dass Vertragsparteien innerhalb der EU wählen können, welches nationale Recht für ihre Vereinbarung gelten soll. Abweichend von dieser Regelung kann ein Land abweichende Regelungen für Fälle schaffen, in denen das öffentliche Interesse eine abweichende Regelung erfordert. Für den Fall, dass die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben, legt Rom I das anzuwendende Recht fest.

Die gerichtliche Zuständigkeit bei Vertragsstreitigkeiten wird derzeit durch die Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia) geregelt. Diese Verordnung enthält nicht nur Vorschriften darüber, wann ein Gericht eines Mitgliedstaats für einen Streitfall zuständig ist, sondern auch die Regelung, dass wenn bei Gerichten in zwei Mitgliedsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht das Verfahren aussetzt, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht gemäß der Verordnung Brüssel Ia für unzuständig.

Wenn fraglich ist, ob ein Nichtmitgliedstaat der Europäischen Union (Drittstaat) zuständig ist, so kann das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005 unter bestimmten Umständen hilfreich sein, vorausgesetzt der Vertrag enthält eine Gerichtsstandsklausel, die sich auf einen Staat bezieht, der das Übereinkommen unterzeichnet hat. Momentan sind dies die EU-Mitgliedstaaten, Mexiko, Singapur und Montenegro. Das Vereinigte Königreich ist also gegenwärtig aufgrund seiner EU-Mitgliedschaft Vertragspartner des Übereinkommens.

Austritt aus der Europäischen Union

Am 31. Oktober 2019 soll Großbritannien die Europäische Union planmäßig verlassen – mit oder ohne Abkommen. Natürlich hängen künftige Regelungen stark davon ab, ob ein Vertrag zustande kommt und falls ja, was dieser beinhalten wird. Während die Feinheiten der Rechtsbeziehungen ausgehandelt werden, wird es sehr wahrscheinlich eine Übergangszeit geben, in der weiterhin die EU-Vorschriften gültig sind. Da der Inhalt eines möglichen Abkommens noch immer nicht bekannt ist, konzentriert sich der Inhalt des restlichen Artikels auf einen Ausstieg ohne Abkommen.

Einige Entscheidungen über die EU-Gesetzgebung, die auch nach dem Brexit bestehen bleiben soll, sind bereits getroffen worden. Die Verordnung Rom I wird, wenn auch mit einigen kleinen Änderungen, beibehalten, damit weiterhin effizient gearbeitet werden kann. Bis auf wenige Ausnahmen werden voraussichtlich britische ebenso wie EU-Gerichte auch zukünftig das britische Recht anwenden, wenn dies zuvor vereinbart wurde. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass hier künftig Probleme auftreten können, wenn das britische Recht und das EU-Recht voneinander abweichen, entweder wegen einer anderen Auslegung der Verordnung Rom I seitens der EU oder wenn englische Gesetze, die bisher den EU-Vorschriften entsprachen, aufgehoben werden.

Während die Verordnung Rom I beibehalten wird, verzichtet Großbritannien künftig auf Brüssel Ia, was bedeutet, dass die darin enthaltenen Zuständigkeitsregeln nach dem Ausstiegsdatum nicht mehr gelten.

Um im Falle eines No-Deal-Brexits ein gewisses Maß an Sicherheit bei der grenzüberschreitenden Urteilsvollstreckung zu gewährleisten, ist das Vereinigte Königreich einstweilig dem Haager Übereinkommen beigetreten. Dieses gewährleistet grundsätzlich, dass alle Vertragsstaaten Gerichtsstandsklauseln beachten. Fraglich ist allerdings, welche Bedeutung der Zeitpunkt der Einigung auf einen Gerichtsstand haben wird. Großbritannien ist nach seiner Auffassung als Mitgliedsstaat dem Abkommen am 1. Oktober 2015 beigetreten (Tag des Beitritts durch die EU). Fraglich ist aber, ob die Gerichte in der EU möglicherweise nur Klauseln anerkennen werden, die erst nach einem ausdrücklichen Beitritt der Briten nach Verlassen der EU vereinbart wurden. Jedenfalls aber sollten Unternehmen unbedingt sicherstellen, dass alle nach dem Ausstiegsdatum abgeschlossenen Verträge eine ausschließliche Gerichtsstandsklausel enthalten, um im Streitfall Sicherheit zu gewährleisten.

Wird eine Klausel nicht eingehalten oder ist sie nicht ausschließlich, findet das Haager Übereinkommen keine Anwendung, so dass die nationalen Gerichte selbst entscheiden müssen, ob sie für die Verhandlung eines Streitfalls nach ihrem Recht zuständig sind. Die dadurch entstehende Unsicherheit wird noch verschärft dadurch, dass Großbritannien die Verordnung Brüssel Ia nicht mehr anwenden wird. Dadurch besteht die Gefahr, dass Verfahren, die zuerst in Großbritannien und danach in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet worden sind, von dem Gericht des jeweiligen Mitgliedsstaates auch dann fortgesetzt werden, wenn das britische Gericht noch nicht entschieden hat, ob es zuständig ist. Obwohl davon auszugehen ist, dass ein später angerufenes Gericht eines Mitgliedstaats das Verfahren nicht ohne triftigen Grund fortführen wird, wenn ein britisches Gericht zuerst angerufen wurde, drohen in jedem Fall höhere Kosten und eine noch längere Verfahrensdauer.

Fazit

Wenngleich der vorliegende Beitrag versucht, eine mögliche Entwicklung in Bezug auf das geltende Recht und die Rechtsprechung kurz zusammenzufassen, handelt es sich dabei doch um ein komplexes Thema, das etliche Rechtsvorschriften umfasst. Auch wenn die britische Regierung Maßnahmen zusichert, die die britischen Gerichte nach dem Brexit ergreifen werden, ist es schwierig abzusehen, wie sich die EU-Gerichte verhalten werden, die in diese Diskussion naturgemäß nicht einbezogen sind. Wie bei so vielem beim Thema Brexit, bleibt das Ergebnis daher abzuwarten.

Autorin: Rebecca List, Rechtsanwältin

Tollers LLP